Claus Christian Claussen, Lukas Kilian und Tobias Koch beim Live-Online-Talk der MIT Stormarn über Politik in Corona-Zeiten

Datum des Artikels 15.06.2021

Ein Jahr Corona-Pandemie in Deutschland — das Ende der Krise und die Folgen für unsere Gesellschaft und Wirtschaft sind noch nicht absehbar, eine Menge Fragen zur Krisenbewältigung offen. Der Kreisverband Stormarn der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) hatte deshalb die CDU-Landtagsabgeordneten Claus Christian Claussen, Lukas Kilian und Tobias Koch zum Corona-Live-Online-Talk eingeladen... 

Ein Jahr Corona-Pandemie in Deutschland — das Ende der Krise und die Folgen für unsere Gesellschaft und Wirtschaft sind noch nicht absehbar, eine Menge Fragen zur Krisenbewältigung offen. Der Kreisverband Stormarn der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) hatte deshalb die CDU-Landtagsabgeordneten Claus Christian Claussen, Lukas Kilian und Tobias Koch zum Corona-Live-Online-Talk eingeladen. Alle drei sind einflussreiche Vertreter Stormarns in Kiel — Koch als CDU-Fraktionsvorsitzender im Landtag, Claussen als Justizminister in der Jamaika-Koalition, Kilian (u. a.) als Wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion — und somit ideale Gesprächspartner, wenn es um unmittelbare politische Erfahrungen in der Krisenbewältigung geht.

Dr. Martin Lüdiger, Vorsitzender des Stormarner MIT-Kreisvorstands,  steckte zunächst mit einer kritischen Skizze der Krise und ihrer Bewältigungsstrategien das Terrain für den Talk ab. Die Herausforderungen für Gesellschaft und Wirtschaft, aber auch für den einzelnen Bürger seien groß, die Politik agiere mit nicht immer konsistenten und nachvollziehbaren Maßnahmen. Lüdiger und Moderator Benjamin Borngräber formulierten Fragen zu Problemfeldern, auf denen nach Meinung der beiden MIT-Vorstände besonderer Handlungsbedarf besteht.

1. Corona Hilfen. Warum dauert es so lange, bis Hilfen ankommen? Und wie ist der Stand der Auszahlungen?

Schleswig-Holstein habe bis zum 1. März insgesamt 736,8 Millionen Euro an Hilfen ausgezahlt, um drohende Insolvenzen und rapide steigende Arbeitslosigkeit abzuwenden, sagte Lukas Kilian. Die Wahrnehmung, dass die Hilfen allzu schleppend abgewickelt würden, hinge mit zuweilen komplizierten und verwirrenden bürokratischen Verfahren zusammen. Kilian listete aus dem Stegreif zehn verschiedene Hilfsprogramme für die Wirtschaft auf und deutete damit eine gewisse Unübersichtlichkeit an. Außerdem seien zuletzt zur Betrugsvermeidung 30 Prozent der Anträge aus Schleswig-Holstein einer vertieften Überprüfung unterzogen worden, was die Verfahren deutlich verlängert habe. Verzögerungen habe es beispielsweise bei den November- und Dezemberhilfen gegeben, beide seien aber inzwischen weitgehend abgearbeitet, so gut wie jeder Antragsteller habe zumindest eine Abschlagszahlung (96,7 Prpzent für November bzw. 97,2 Prozent für Dezember), die überwiegende Mehrheit inzwischen die volle beantragte Summe (81,8 Prozent bzw. 77,4 Prozent) bekommen.

Auf die Zwischenfrage, warum nicht die Finanzämter, denen alle Daten digital vorliegen, Überprüfung und Auszahlung effizient abgewickelt hätten, antwortete Kilian, dass traditionell das Wirtschafts- und nicht das Finanzministerium für Förderprogramme zuständig sei. „Wir machen nicht die Regeln, die Regeln macht der Bund“, sagte er und fügte hinzu: „Die Krise ist auch ein Lernprozess. Beim nächsten Mal würden wir manches anders machen.“ Tobias Koch merkte noch an, dass manche Aspekte der Förderpraxis des Landes zu wenig Beachtung fänden: „Die Regierung in Kiel ist auch in der Pandemie investitionsfreudig geblieben und hat die Aufträge der öffentlichen Hand aufrechterhalten. Damit wurde zum Beispiel eine Krise im Baugewerbe vermieden.“ 

 

2. Hauptansteckungsquellen und Kontaktnachverfolgung. Warum kennen wir nach einem Jahr Corona immer noch nicht die Hauptansteckungsquellen?  Warum haben wir keine wirksamere digitale Kontaktnachverfolgung, damit Infizierte rasch identifiziert und isoliert werden könnten?

„Politik ist in der Pandemie auf Beratung durch Wissenschaft angewiesen“, sagte Claus Christian Claussen. Es gebe jedoch keine eindeutigen Erkenntnisse, sogar eine kaum übersehbare Zahl von Studien, die sich zum Teil widersprechen würden, etwa in der Frage, wie infektiös Kinder seien. Das mache Entscheidungen schwierig. Tobias Koch verwies auf das von Ministerpräsident Daniel Günther früh vorgeschlagene und inzwischen national akzeptierte Stufenkonzept für Öffnungen, das es erlaube, auf das Infektionsgeschehen flexibel zu reagieren und Perspektiven für Öffnungen zu bieten. Claus Christian Claussen ergänzte, dass es notwendig sei, Hygienekonzepte auf den Stufenplan abzustellen, damit ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet sei. Die Toolbox des Robert-Koch-Instituts sei dafür hilfreich. 

Schlüssel für eine wirksame Kontrolle bleibe aber die Kontaktnachverfolgung — und die müsse digital erfolgen. Lukas Kilian kritisierte die geringe Wirksamkeit der Corona-App. Es sei  ein falscher Ansatz, bei der Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und Datensicherheit zu sehr auf Bedenkenträger gehört zu haben. Kilian: „Datenschutz kann auch hemmen, wir müssen das eine oder andere künftig hinterfragen.“
Wie es besser funktionieren könnte, zeige zum Beispiel die neue Luca-App (luca-app.de), mit der Menschen freiwillig unter vollem Datenschutz gegenseitig ihre Kontakte erfassen und im Infektionsfall das Gesundheitsamt informieren könnten, das dann alle Kontaktpersonen benachrichtigen würde. So ein Verfahren könnte Gastronomie oder Kulturveranstaltern helfen, unübersichtliche Zettelwirtschaft würde vermieden, Infektionsketten könnten rascher durchbrochen werden.

3. Impfungen. Warum hat die Impfkampagne so schleppend begonnen? Warum wird der verfügbare Impfstoff nicht zügig „verimpft“ und stattdessen viel über über unterschiedliche Impfstoffqualitäten und richtige Impfreihenfolgen öffentlich debattiert?

„Das größte Problem ist der Mangel an Impfstoff. Auf die verfügbare Menge haben wir leider in Schleswig-Holstein keinen Einfluss. Außerdem können wir nicht alles „verimpfen“, was wir haben, weil wir Vorsorge für die Zweitimpfungen treffen müssen“, sagte Claus Christian Claussen. Lukas Kilian antwortete auf die Frage, warum Israel das so viel besser hinbekommen habe: „Israel ist auch deshalb so gut beliefert worden, weil das Land den Unternehmen Biontech/Pfizer quasi für einen großen Modellversuch die anonymisierten Daten der Bürger zur Verfügung stellt. Ich kann es mir für Deutschland nicht vorstellen, dass medizinische Daten aller Bürger an einen Pharmakonzern verkauft werden. Das ist sehr heikel.“

Zum Schluss erinnerte Tobias Koch noch einmal daran, wie schwierig es für die Politik sei, eine Krise zu bewältigen, für die es keine Blaupause gegeben habe. „Wir standen immer wieder vor neuen Herausforderungen, auf die wir rasch reagieren mussten. Das ist in einer Demokratie mit föderalem System nicht immer einfach. 16 Bundesländer, von denen jedes die  eigene Strategie als die richtige für seine Bevölkerung ansah, mussten sich abstimmen. Abstimmung mit dem Bund war notwendig, mit der Opposition im Landesparlament und innerhalb der Koalition“, so Koch. Auch seien Defizite des Systems offenbar geworden, etwa zu behäbige bürokratische Prozesse oder Mängel in der Digitalisierung. Koch: „Es ist wichtig, dass wir beim zweiten Mal alles besser machen.“

Claus Christian Claussen pflichtete ihm bei. „Die Schlagzahl der Entscheidungen war und ist erheblich, wir müssen Hinweise von unterschiedlichen Seiten berücksichtigen, vor allem aus der Wissenschaft. Das ist ein schwieriger Prozess.  Zumal noch nie so massiv in der Geschichte der Bundesrepublik in die Grundrechte der Menschen eingegriffen wurde“, sagte der Justizminister und fügte hinzu: „Das Tempo der Politik hängt auch damit zusammen, wie Maßnahmen erklärt und transparent gemacht werden, damit die Bevölkerung sie mitträgt. Denn ohne Akzeptanz in der Bevölkerung ist wirksame Pandemie-Politik nicht möglich.“

Nach anderthalb Stunden lebhafter Diskussion im virtuellen Raum mit mehr als 30 Teilnehmern versprachen Claus Christian Claussen, Lukas Kilian und Tobias Koch, in etwa einem Monat wiederzukommen, um die Debatte zur Corona-Bewältigung mit aktuellen Erkenntnissen fortzusetzen.